Wenn Inspirationen Gestalt annehmen
Am Anfang des Kreativprozesses steht die Idee des Künstlers. In vielen Einzelschritten geht das Werk durch die Hände der Former und wird für das Gießen vorbereitet.
Ein gutes Auge und Sinn für harmonische Proportionen sind Voraussetzung für ein ästhetisches Gesamtwerk sowie der gefühlvolle und präzise Umgang mit den Modellierhölzern. Skulpturen werden im Wachsausschmelzverfahren gegossen, eine Technik, die auf einer jahrtausende alten Tradition basiert.
20 verschiedene Arbeitsgänge sind nötig, bis aus dem Ur-Modell ein fertiges Kunstwerk aus Bronze entsteht.
Um ein positives Wachsmodell zu gewinnen, das dem Originalmodell genau entspricht und später ausgeschmolzen werden kann, muss zunächst eine flexible Negativform erstellt werden. Dazu wird das Originalmodell jeweils zu einer Hälfte mit Tonplatten belegt, die dann mit Gips überzogen werden. Sind die sogenannten „Gipsstützschalen“ getrocknet, wird die Tonschicht entfernt und beide Schalen werden wieder um das Modell gelegt. Anschließend wird in die jeweilige Hohlraumhälfte zwischen Originalmodell und Gips flüssige Gelatine oder Silikon gegossen.
Entstehung der Silikonform
Viele Details ergeben das Ganze
Die originalgetreue Negativform ist nun fertig. Da in die flexible Negativform das Metall nicht direkt gegossen werden kann, muss in weiteren Arbeitsschritten das positive Wachsmodell entstehen. Dazu fügt man beide Formhälften zusammen und gießt sie mit heißem Wachs aus.
Nach einigen Minuten des Erkaltens entsteht eine Wachsschicht. Das überschüssige Wachs wird wieder ausgegossen, so dass ein hohles Wachsmodell entsteht. Dieser „Wachsrohling“ wird mit einem Schamottekern gefüllt, danach vom Künstler nochmals retuschiert und anschließend mit Gusskanälen versehen.
Das Ganze wird mit Schamotte umhüllt und im Ofen 5 bis 8 Tage lang bei über 600 °C ausgebrannt bis das Wachs ausgeschmolzen und der Hohlraum vollständig ausgetrocknet ist. In diesen Hohlraum wird im nächsten Arbeitsschritt die ca. 1250 °C heiße Bronze gegossen.
Mit dem Wissen, wie die flüssige Bronze später fließen soll, werden die Gußkanäle angebracht.
Entstehung der Schamotteform (Gießform).
Erste Schamottschicht ist aufgetragen.
Flüssiges Erz
Bevor der Gießer, der „Meister des Feuers“, den Gießvorgang durchführen kann, wurde das Wachsmodell im Ofen ausgeschmolzen und der so entstandene Hohlraum vollständig ausgebrannt.
Nun kommt der alles entscheidende Augenblick des Gießens: die im Tiegelofen auf ca. 1250 Grad Celsius erhitzte flüssige Bronze wird von der Schlacke befreit und dann in einem Zug in die ausgebrannte Form gegossen.
Ein ausgeprägtes Zeit- und Fingerspitzengefühl, große Erfahrung und eine absolut ruhige Hand sind dabei die wesentlichen Voraussetzungen, um ein Gießergebnis allererster Güte zu erzielen. Stetig bahnt sich die flüssige Bronze ihren Weg in die vom Wachs hinterlassenen Hohlräume, ohne an der Außenfläche Blasen zu bilden. Die Bronze kann nun erkalten und der Schamottemantel abgeschlagen werden.
Punzen und Meissel erwecken das Objekt zum Leben
Nach dem Abschlagen des erkalteten Schamottemantels wird der Rohling gereinigt, seine Oberflächenqualität begutachtet und dann – oft gemeinsam mit dem Künstler – darüber entschieden, wie das Objekt weiter bearbeitet werden soll, um die erstarrte künstlerische Idee zu ihrem eigentlichen Glanz und Leben erstrahlen zu lassen.
Nachdem der Ziseleur Einguss- und Abluftkanäle abgetrennt und mehrteilig gegossene Skulpturen zusammengeschweißt hat, geht er mit großer Virtuosität daran, die Oberflächen mit Ziseliereisen (Punzen) oder Meißel, mit Feile, Schaber, Schleif- und Polierwerkzeugen nachzuarbeiten. Gesichter, Muskeln und Ornamente werden in konzentrierter Teilarbeit gefühlvoll herausgearbeitet, Nuancen hervorgehoben und die Besonderheit des Objekts betont. Aus dem Rohling wird das lebendige, ausdrucksstarke Kunstwerk in einer Anmut, die dem Originalmodell des Künstlers exakt entspricht.
Rohlinge nach dem Gießen
Detailarbeit beim Ziselieren
Lebendige Patina
Nun erfolgt der letzte Hauptbearbeitungsschritt, das Patinieren. Hierfür kommen unterschiedliche Patinierlösungen zum Einsatz, die nach alten, überlieferten Rezepturen hergestellt werden. Das Kunstobjekt wird zunächst für einen genau festgelegten Zeitraum in ein Patinabad getaucht, um dann in Handarbeit weitere Patinierlösungen aufzutragen und mit der Gasflamme einzubrennen. So lassen sich jeweils ganz besondere Farbeffekte und Schattierungen erzielen. Der Charakter und die Ausstrahlung des Bronzeobjekts werden intensiviert.
Abschließend wird die Bronze gründlich gewaschen und gewachst. Das Kunstwerk ist vollendet – geschaffen für die Ewigkeit.
Das Geheimnis der Patina
Künstler und Kunstgiesser
Für den bildenden Künstler ist die Umsetzung seines Werkes durch eine erfahrene Giesserei sehr wichtig. Wohl erstmals auf der Grabtumba des Bischofs Wolfhart von Roth (gest. 1302) im Augsburger Dom werden Modelleur und Gießer gemeinsam genannt: „Otto me cera fecit Cunratque per era.“ (Otto schuf mich im Wachs, Konrad im Erz).
Michel Favre
Quelle: Strassacker